Jammerkatze
„Das Jammern ist eine alte österreichische Kulturtechnik, es hat nichts mit echter Ablehnung zu tun. “
— Karl-Markus Gauß, Schriftsteller
Ich hab so eine Tendenz.
Ich hab so eine Tendenz, wenn das Leben mir zu viel wird.
Ich hab so eine Tendenz, wenn das Leben mir zu viel wird.
Zu Jammern.
Mir war es nie wirklich bewusst. Natürlich ist es mir aufgefallen, das Jammern.
Aber für mich war es immer ein Ausdruck meiner Gefühle in Momenten der Frustration, des “Überfordert Seins”, einer tiefen Sehnsucht in mir, die nicht erfüllt war und das Bedauern darüber, dass ich wo anders sein wollte, als ich im aktuellen Moment in meinem Leben war.
Das Jammern ist ein Katzenschrei in wilden Vollmondnächten über den Dächern von Wien. Ein Selbstmitleids Lied, in dem sich das Opfer in mir bis in den schlammigen Exzess hineinwühlen kann. Ein dramatischer Akt des Mangels auf der Bühne der Tristesse. Und eigentlich nur ein Aufschrei und der tiefe Wunsch gesehen zu werden.
Mir war es nie wirklich bewusst, das Jammern.
Ich hab es oft und gerne gemacht - ungewollt, unbewusst gerne. Denn manchmal entkommt man den Fängen des eigenen Schattens nicht. Er wirkt durch uns, ob wir wollen oder nicht. Egal, wie gut man spirituell praktiziert hat. Es ist, als ob er ein Eigenleben hätte - dieser Schatten. Und es braucht viel Bewusstheit, um zu erkennen, wann er zu wirken beginnt.
Doch dann, eines Tages, wies mich in meiner letzten Jammerstunde meine Mutter lauthals darauf hin - auf serbisch und in tiefer Lebensweisheit, die nur aus einem Menschen kommen kann, der schon 75 Jahre Leben hinter sich hat. Weisheit pur.
“Hör auf zu Jammern!” - schrie sie mich an.
Ich kann es nicht mehr hören, das Jammern.
Net Jammern. Biiitteeeee!!!
Ihr mütterlicher (liebevoll gemeinter) Aufschrei traf mich in diesem Moment so sehr, dass ich begann über das Jammern zu reflektieren. Was es ist, woher es kommt, was es macht und wohin es mich führen kann, wenn ich nicht die Bewusstheit entwickle, im richtigen Jammermoment die Entscheidung zu treffen, damit aufzuhören. Und das Katzengeheule in kuschelige Selbstliebe zu wandeln.
„Der Jammerer fraternisiert sozusagen mit den schlechten Zuständen; er will sie nicht ändern, bloß über sie lästern. Wie gesagt: Konservativ mit anarchischem Einschlag.“
— Karl-Markus Gauß
Die Wiener sudern gerne. Ein anderer Begriff für das Jammern, das den Sinn dieser Aktivität eigentlich gut in ein Wort packt. Man suhlt sich im Schlamm, bis das Moor einen ganz verschlingt. Und man wahrscheinlich dabei ganz untergeht.
Eigentlich ist alles scheinbar gut, aber man findet in Wien immer einen Grund, warum es nicht gut ist. Zu heiß, zu kalt, zu laut, zu leise.
Zu gemütlich, vielleicht?
Was das Jammern betrifft, bin ich so glaub ich, eine echte Wienerin. :-)
Doch was ist das Jammern wirklich?
Ausdruck von Überforderung. Unzufriedenheit mit der aktuellen Lebenssituation, aber der Zugang zur verändernden Lösung scheint zu fehlen. Der Versuch, das, was nicht passt, in Worte zu kleiden, um es besser zu verstehen? Traurigkeit. Das Nähren des eigenen inneren Opfers. Ein “ich reg mich auf, aber ich will es eigentlich eh nicht ändern” Modus.
Also auf gut Wienerisch: Konservativ mit anarchischem Einschlag.
Oder auf gut Deutsch: Ich will Veränderung, aber eigentlich ist es eh gemütlich, so wie es ist.
Früher hab ich solange rum gejammert, bis es aufgehört hat. Oder einfach nur überlagert wurde - von guten Tagen, positiven Erlebnissen oder freudvollen Inputs von Außen. Doch der jammernde Grundzustand der heulenden Katze in mir blieb - weit unten vergraben. Und nicht erlöst.
Nach Mamas weckendem Mutterschrei, begann ich tiefer in die Jammer Schichten abzutauchen und mich um jene verletzten Anteile in mir zu kümmern, die seit vielen Jahren ihren unbewussten Ausdruck in der wienerischen Manier der Suderei fanden.
Also holte ich die Jammerkatze ganz nah an mein Herz und betrachtete sie in tantrischer Manier, mit Atem, Licht und Feuer - in einer intimen Begegnung mit mir selbst.
Das war das innere Kind in mir, das sich nicht gesehen fühlte.
Jenes Kind, das sich nach Geborgenheit im Leben sehnte.
Sich danach sehnte, gehalten zu werden. Von jemandem der sagt, alles wird gut.
Das Kind, das dann aktiv wurde, wenn das Leben zu viel wurde, weil es nie gelernt hatte, mit Zuviel umzugehen.
Da war die Frau in mir, enttäuscht von allen Männern in ihrem Leben, die nie gut genug waren und sich nie ganz um sie gekümmert hatten.
Da waren die Ahnen Frauen in mir, die alles selbst machten - machen mussten. Unter Einsatz ihrer ganzen Lebensenergie. Verbunden mit vielen Opfergaben.
Da waren all diese Anteile in mir, die sich nach “mehr” sehnten - nach anders, besser, schöner, leichter. Die woanders sein wollten, als das, was mein Leben in solchen Momenten zu bieten hatte.
Beim Jammern wird der Schmerzkörper aktiv - und er will gefüttert werden, bis der Schmerz so groß wird, dass man es nicht mehr aushält. Und nachgibt - meistens hat mich das Jammern auf die Couch gebracht und mich ohnmächtig in den Schlaf gejammert. Oft nährte ich mein Jammern weiter - durch Vergleiche mit dem Leben anderer und der daraus resultierenden Selbstsabotage. Mit Gedanken von “hättest, solltest, müsstest” und “was, wäre, wenn”. “nicht gut genug”, “kein gutes Schicksal” und “ich hab es eh verdient”. Ein ewiges Kreisen zwischen vergangener Reue und zukünftigen Ängsten ohne Exit Möglichkeit. Man kann es auch “die selbst manifestierte Hölle” der eigenen Gedanken nennen. Aus der man sich nur dann erheben kann, wenn der Raum für Bewusstsein sich öffnet.
Und man ganz zu sich selbst zurückkommt.
Ins Herzal.
Es geht nicht darum, die verletzten Ego Anteile nicht mehr zu fühlen.
Sondern sie als Humus für Entwicklung zu nutzen.
Sie in dem Moment, wenn sie ins Spielfeld des eigenen Lebens kommen, aus einer beobachtenden Perspektive zu erkennen - und sich dann für spirituelle Praxis zu entscheiden.
Ihnen im Herzal einen Raum geben.
Sie wollen nur gesehen werden.
Geliebt werden.
Die Jammerkatze braucht manchmal einfach nur eine Couch und ein liebevolles Kraulen der Kehle. Dann schnurrt sie auch schnell wieder - und das Leben lächelt aus einer anderen Perspektive zurück. Wenn wir es wagen den Blick zu wandeln. Das richtig echte Fühlen zu zulassen. In absoluter Ehrlichkeit uns selbst gegenüber und da wo wir stehen. Wo wir uns selbst begegnen, fallen wir mitten ins Leben. Nicht, weil wir aufhören zu jammern - sondern das Jammern ganz zurück holen. Und es als Elixier nutzen, um tiefer zu uns selbst zu tauchen.
Der Jammerkatze in unserem Herzal ein zu Hause geben.