Paris in Wien. Oder wie Stil und Selbstliebe in Spiegeln zu finden sind

Es gibt in Wien diesen einen Laden in einer ruhigen Gasse in 1050 Wien. Gleich gegenüber vom Margaretenplatz und dem wunderschönen Margaretenhof. Dort findet Frau französische Mode von kleinen Labels. Mein Freund hat ihn mir gezeigt und meinte, er würde mir gut gefallen, er würde zu mir passen, und ich solle mal vorbeischauen - denn er kannte meine Leidenschaft für schöne Dinge und vor allem schöne Dinge, mit denen man den eigenen Körper schmücken kann.

Mein erster Besuch dort war aus Zeitmangel ein kurzer und etwas flüchtiger, aber der Laden blieb mir im Gedächtnis. Ich mochte seine Atmosphäre. Und so kam ich immer wieder hierher, um mich durch die französischen Kleider zu probieren, mich in geschmeidige Pullis zu kuscheln und in hohe Stiefel zu schlüpfen. Ich mochte den Laden in 1050 sehr. Sicherlich mehr als alle anderen Läden, die ich in Wien so kenne. Nicht nur, weil er ausgewählte Stücke von französischen Designern in Fair Trade und Bioqualität hatte, sondern weil ich mich dort einfach wohl fühlte. Manchmal verbrachte ich drei ausgedehnte Stunden dort, erlaubte mir alles von der Stange in die Garderobe zu tragen, was mir gefiel, um es dann zu probieren. Ohne Ausnahme. Ohne auf den Preis zu schauen. Meine Sehnsucht trieb mich dazu, einfach nach Lust und Laune in alles zu schlüpfen, wodurch ich mein Gefühl von Weiblichkeit fühlen, ausdrücken und im Spiegel sehen konnte. Die Schnitte, die Farben, die Designs. Jedes Stück verpasste mir einen anderen Ausdruck, unterstrich mal die Augenfarbe, mal die Haare, mal den Körper und mal das Gesicht. Auch die Spiegel in dem Laden waren von solcher Art, das man sich gerne in ihnen betrachtete. Ich weiß nicht, ob es am Licht, dem Winkel oder einfach nur an mir lag. Aber ich liebte mich in all diesen Kleidungsstücken in dem Laden in 1050 Wien. Ich sah einfach gut aus. Und das sah ich im Alltag nicht immer so genau, wie in den Spiegeln dieses Ladens.

Im späten Frühling und im Herbst besuchte ich den Laden regelmäßig und ausgiebig. An ganz besonderen Tagen, wo ich mich dem Gefühl hingeben wollte, einfach in neue Kleider zu schlüpfen und zu beobachten, welche verborgenen Facetten von Frau Sein ich in den Spiegeln dort erkennen würde. Vielleicht lag es an den Designern, die aus Frankreich kamen oder an Brigitte Bardot, die im Hintergrund ihre Chansons aus den Lautsprechern sang, aber irgendetwas in diesem Laden nahm mich bei der Hand und sagte: Gib dir die Freiheit, alles zu probieren, was dir gefällt. Und lass dich davon verzaubern, wie Kleider neue Leute machen.

Oder wie Coco Chanel gerne zu sagen pflegte: Eine Frau sollte sich jeden Tag so anziehen, als könnte sie ihrer großen Liebe begegnen. Und in dieser besonderen Angelegenheit an diesen besonderen Tagen in meinem Laden, war ich die große Liebe meines Lebens: Gespiegelt im Spiegel.

Ich begann zu Kleidern zu greifen, die ich zuvor niemals gekauft hätte. Wählte Farben, die ich zuvor niemals zu tragen gewagt hätte. Schnitte, von denen ich davor oft gedacht hatte, dass sie mir nicht stehen würden. Doch irgendetwas in diesem Laden inspirierte mich, meiner luftigen Fantasie freien Lauf und meinem drängenden Begehren eine vollkommen neue Weiblichkeit zu leben, freien Lauf zu lassen. Und jedes Mal, wenn ich mich vor den Spiegel stellte, fand ich mich: hinreissend, bezaubernd, sexy, elegant, cool, romantisch, wild und unberechenbar.

Und vielleicht lag es weniger an den Kleidern, als an dem, was ich endlich von mir selbst sehen konnte. Und mehr noch: Mir eingestehen konnte, dass ich hinreissend, bezaubernd, sexy, elegant, cool, romantisch, wild und unberechenbar bin.


Der Laden wurde zu meiner Lieblingsboutique. Ich ging weniger deswegen hin, weil ich unbedingt ein neues Kleid wollte, sondern wegen dem Gefühl, das ich dort in Bezug auf mich selbst fand. Er war wie ein kleines Zauberhaus, wo man hineingeht und mit einem besseren Selbstwert und einem glücklichen Lächeln wieder hinausgeht. Was man wohl nicht von all zu vielen Läden behaupten kann, deren Spiegel meistens dazu führen, dass man wieder einmal über eine Diät nachdachte. Es lag auch nicht so sehr an der Freundlichkeit und guten Beratung der Verkäuferinnen - es war wie sich für mich nach späterem Sinnieren herausstellte, tatsächlich der Vibe des Ladens, der mich immer wieder lockte, um für einen kurzen Moment meine Weiblichkeit zu zelebrieren.

Und das tat ich auch - ich kann mich nicht erinnern, dass ich jemals so viele Teile in die Garderobe schleppte wie dort. Manchmal boten mir die Verkäuferinnen sogar die größte Garderobe an, weil ich schon vor Kleiderbügeln überging und man mich kaum mehr sah, wenn ich hinter den Vorhängen der Garderobe verschwand. Es war mir eine große Freude ein Teil nach dem anderen zu probieren, dann eine Runde durch den Laden zu gehen und meinen Freund, der geduldig vor dem Laden sitzend bei einem Tisch (der übrigens für die Männer, die ihre Frauen zum Shoppen begleiten dort steht) wartete, um seine Meinung zu fragen. Ich lies mir Zeit, probierte manche Stücke sogar zweimal und wählte dann sehr intuitiv aus, welche ich kaufen wollte. Vielleicht sollte ich an dieser Stelle erwähnen, dass ich normalerweise niemals Kleider in Läden anprobieren, weil ich mich nicht so gerne in den Spiegeln betrachte.

Doch in meinem Laden in 1050 Wien war das anders. Und bei der Auswahl der Kleider, die ich kaufen wollte, war die Liebe auf den ersten Blick entscheidend. In dem Moment, wo ich mich neu gewandet im Spiegel sah, gab es entweder ein innerliches Yes oder Maybe. No kam selten vor, weil die Vorauswahl schon ziemlich gut war. Das Yes war dann schließlich für meine Kaufentscheidung entscheidend. In der Garderobe zählte mein Kopf schon eifrig zusammen, wieviel € ich wieder in 1050 lassen würde und ich spürte wie eine Art Angst vom Bauch bis zu meinem Hals emporstieg, ein Gefühl von ‚ich darf mir das nicht erlauben‘, das ist viel zu viel. Doch eine andere Stimme war so verzaubert von der Schönheit der Kleider, Pullis und Shirts an mir, dass die € Frage hinter den Spiegeln verschwand und es mir egal war, dass ich wieder ein paar Hunderter mehr im Minus auf meinem Konto war. Ich wollte es mir gönnen, egal was danach kommt.

Bei meinem letzten Besuch in dem Laden, als es wieder mal soweit war, die große Einkaufstasche in Empfang zu nehmen, erinnerte ich mich an ein Gespräch mit Danja, die einmal zu mir sagte: Bei dem, was du schon alles eingekauft hast, hättest du dir schon eine Eigentumswohnung leisten können. Du bist wie Carrie Bradshaw! Viele Schuhe, aber kein Geld.



Und ich musste schmunzeln. Denn vielleicht geht es nicht um das Kleid, das wir uns kaufen. Sondern um das Gefühl in ein neues Ich zu schlüpfen. Vielleicht sind es nicht die Farben der neuen Klamotten, sondern der neue, erhebende Selbstausdruck, den wir dadurch finden. Vielleicht sind es nicht die schönen Materialien dieser Stücke, sondern die neue Haut, Identität, Hoffnung und Zuversicht, die sie uns schenken. In unserem Bestreben, uns stets neu zu erfinden, um uns zu finden. Und zu häuten, damit eine neue Kraft in uns erwachen kann. Und durch das Tragen eines neuen Kleides, dem Leben wieder mit einem offenen Herzen zu begegnen. Und Lust durch den Körper strömen zu spüren. Lust auf uns selbst.

Übrigens: Der Laden gegenüber des backsteingepflasterten Margaretenplatzes im 5. Wiener Gemeindebezirk heißt Le Miroir. Der Spiegel. Nomen est Omen. Dieses Detail fand ich jedoch erst gegen Ende des Schreibens dieses Textes heraus. Und war überrascht und freudig gleichzeitig. Denn die Spiegel im Le Miroir haben mich immer und immer wieder liebevoll umarmt und mir die Süße meiner Weiblichkeit vor Augen geführt.

Und dafür bin ich sehr, sehr dankbar. Denn im Le Miroir hat sich für mich der Sinn des Kleider Kaufens offenbart. Es ist nicht das, was du danach mit nach Hause nimmst, um es anzuziehen. Es ist das Erlebnis, das du hast, während du es tust. Und das spiegelt sich mit oder ohne Spiegel durch dich und zeigt sich in deinem ganzen Sein. In welchem Kleid auch immer.

Und nun wünsche ich dir viel Freude, wenn du das wunderbare Spiegelkabinett von Le Miroir besuchst. Und vergiss nicht: Mode ist vergänglich. Stil niemals. Und Stil ist das, was immer nur aus deinem Innersten strahlen kann. Ich glaub, das Le Miroir hat mir Stil geschenkt und dieser drückt alles aus, was ich bin. Zumindest noch solange, wie Kleider meinen Körper schmücken.

Le Miroir, Strobachgasse 2, 1050 Wien
www.lemiroirwien.com

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