Abschied in Freude

Das ist meine Oma. Sie ist 96 Jahre alt. Ich sehe sie nicht oft, weil sie in Kroatien lebt und ich in Wien. Mittlerweile ist sie in einem Altersheim, weil sie für einige Tätigkeiten im Alltag Betreuung braucht. Und letztens da habe ich sie besucht.


Als ich das Altersheim betrat, fand ich eine kleine Gruppe von Senioren vor, die zusammensaßen und lachten. Ihre Gesichter waren freudig, sie hatten Spaß miteinander. Das Heim strahlte vor Lebendigkeit und Freude, ganz anders als ich es mir erwartet hatte und ich spürte, dass meine Oma an diesem Ort gut aufgehoben war, für die Zeit, die ihr hier auf der Erde noch blieb. Ein älterer Herr strahlte mich an und rief mir zu: “Was für ein schönes Kleid du an hast!” Und das zauberte auch mir ein Lächeln ins Gesicht. Ein sehr breites sogar.



Alles an diesem Tag war anders, als ich es sich mein Kopf vorgestellt hatte. Hier in diesem Altersheim war nichts von Krankheit, Tod, Trauer oder Leiden zu spüren. Die Menschen waren fröhlich, sie waren freundlich miteinander und zu mir. Hier an diesem Ort fand ich an diesem Tag so viel Lebenslust, wie schon lange nirgends. Und es berührte mich sehr, denn ich hatte das Gefühl, das hier an diesem Ort, die Menschen, die nun am Ende ihres Lebens standen, über ihr Herz miteinander verbunden waren - und das war Freude.


Als ich das Zimmer meine Oma betrat, saß sie auf einem Stuhl, strahlte in ihrer Präsenz und löste gerade Kreuzworträtsel. Als sie mich sah, breitete sich ein Lächeln über ihr ganzes Gesicht aus und aus ihren Augen kam pure Freude. Wir umarmten uns, drückten und küssten einander und sie schmiegte sich mit ihrem dünnen Körper und ihrer vom Leben gezeichneten Haut an mich. Wie ein Kind. Es war so, als wäre ich in diesem Moment ihr Nest, ihre Geborgenheit, nun am Ende ihres Lebens hatten sich unsere Rollen verändert. Ich erinnerte mich an die wunderschönen Sommer, die ich mit ihr in Istrien gemeinsam verbracht hatte. Den Kamin, das Essen, den Wohlgeruch von zu Hause. Den Garten, die Blumen und ihre italienischen Lieder, die sie immer sang, wenn sie kochte oder ihr Gemüse und Obst unter der südlichen Sonne pflegte. Und auch sie erinnerte sich an all das, ohne dass wir darüber ein Wort miteinander getauscht hatten. Denn, das, was am Ende des Lebens bleibt, sind die Erinnerungen an jene Momente, als wir uns nah waren, uns wirklich begegnen durften, von Mensch zu Mensch, und von Seele zu Seele.


Oma und ich verbrachten einen wunderschönen Tag miteinander. Wir gingen königlich essen, machten Fotos, umarmten einander, küssten uns, lachten, tranken Wein und ich merkte, dass die Freude und das Glücklich sein mit ihr mich bis in die Tiefe meines Herzens durchdrangen. Nie hätte ich gedacht, dass unsere Begegnung so ablaufen würde, und ich war überrascht und gleichzeitig dankbar, solche Momente mit ihr noch erleben zu dürfen. Jetzt, wo sie am Ende ihres Lebens stand.



Denn wir wissen nie, wann wir uns das letzte Lebewohl sagen.



Ich betrachtete diese Frau und die Freude, die aus ihren Augen strahlte.
Ich dachte mir, wie geht das?
Nach so einem schweren Leben, all den Entbehrungen, der harten Arbeit, den unerfüllten Liebesgeschichten, dem allein sein, der Härte, die sie zeitweise in ihrem Leben aufgesetzt hatte, um zu überleben.


Wie geht das mit der Freude zum Schluß? Wenn man alt ist, der Körper 96 Jahre geprägt von dem steinigen Weg, dem Nicht Wissen, ob man morgens wieder aufwacht, dem Wenigen, das in ihrem Zimmer an materiellen Dingen noch da ist, das alleine schlafen gehen und zeitweise gepflegt werden müssen?


Wie geht das mit der Freude zum Schluß? Wenn im Außen nicht mehr viel da ist, was einen nährt, einem Liebe gibt, Freude schenkt?

Ich glaube, ich habe meine Oma selten so glücklich gesehen, wie an diesem Tag.
Was war ihr Geheimnis?
Das Geheimnis das Leben am Ende des Lebens zu feiern? Wie konnte dieser alte Körper so viel Liebe, so viel Freude, so viel Dankbarkeit und Vergebung ausstrahlen?

Für mich bleibt das, beim Schreiben dieses Textes ein Geheimnis. Ihr Geheimnis.
Ich hätte nie gedacht, dass Oma mir zeigen könnte, wie Freude geht. Ich habe beschloßen dies zu meiner spirituellen Praxis in diesem Sommer zu machen. Oma als Ahnin in mein Feld zu holen und sie zu fragen, wie das mit der Freude geht. Denn wir können so viel von jenen lernen, die vor uns da waren. Die ein Leben hinter sich haben. Die tief gefallen und hoch geflogen sind. Dieser Tag hat mir Oma als spirituelle Gefährtin zurückgebracht. Wir waren viele Jahre nicht in Verbindung, jede in ihrem Leben, ich in Österreich, sie in Kroatien. Doch dieser Tag im Altersheim hat sie mir zurückgebracht. Und ich habe ihr einen Platz tief in meinem Herzen gegeben.


Was bleibt am Ende des Lebens?
Vergebung. Frieden. Ein Ausatmen. Sein lassen.
Und die Vorfreude auf Gott.
Ein Abschied, von denen, die wir lieben.
Und das tiefe Wissen, dass wir den letzten Übergang alleine vollziehen werden.

Ich bin da Oma, mit dir.
Tief im Herzen verbunden.
Darf ich von dir lernen, wie Freude geht.

Zeigst du es mir?
Ich bin bereit.

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