Abschied nehmen

Wir hatten es schön miteinander. Ich bin nicht gegangen, weil es nicht schön gewesen wäre. Aber manchmal sind Dinge schön und man muss trotzdem gehen. Sich verabschieden, weil die Zusammen - Zeit vorbei ist.

Lange hab ich überlegt, ob ich gehen soll. Mir immer wieder Geschichten, Rechtfertigungen und Gründe gesucht, wieso ich doch bleiben sollte. Oft an mir gezweifelt und mich gefragt: “Liegt es an mir?” Doch immer wieder holte mich das Körpergefühl ein - instinktiv, nicht logisch, wie aus dem Nichts - und es flüsterte: Abschied.

Sich von einer Beziehung zu verabschieden, die zu eng geworden ist, verläuft in Etappen. Es scheint, das der Kopf mehr Zeit als der Körper braucht, um Trennung zu akzeptieren. Meistens weiß man, fühlt man, wann es vorbei ist. Das, was gemeinsam erlebt werden sollte, ist vollbracht. Es gibt an diesem Punkt keinen Weg mehr nach vorn, sondern nur mehr ein Kreisen und Schleichen rund um das Ende, das schon längst da ist und nur mehr vollzogen werden möchte. In Worten und Taten.

Doch wir drücken uns vor dem Abschied nehmen. Weil wir Angst haben. Es ist die Angst davor, was dann passieren könnte. Beim anderen. Bei uns selbst. Die Angst davor einen Fehler zu machen, es zu bereuen. Vielleicht auch die Angst, einen Abschied auszusprechen. Denn er - der Abschied - bedeutet immer einen kleinen Tod des Ego und das sich fallen lassen können in die Ungewissheit mit der Frage “Was nun”?

Wir zögern das Abschied nehmen hinaus - hoffen, das das Leben es regeln wird. Und vielleicht es manchmal sogar besser wird. Doch der intuitive Ruf des Körpers holt uns immer wieder ein - und je mehr wir den Abschied hinauszögern, desto sumpfiger wird das Gebiet, durch das wir stampfen, um ja nicht der Angst zu begegnen. Und sie ganz durchzulassen.

Ja. Abschied nehmen ist schwer. Weil es bedeutet, das alle verkopften Sicherheitsnetze des Egos dem Urvertrauen ins Leben weichen müssen. Der tiefen Hingabe an das, was wir spüren. Tief drin in uns. Und anstatt uns selbst zu trauen, radikal und ehrlich, spielen wir lieber Spielchen. Und spüren dabei, dass der Sumpf immer tiefer wird.

Abschied nehmen. Von Menschen, Orten, Dingen, Erlebnissen. Es gehört zum Leben dazu. Zyklus. Immer und immer wieder. Der erste Abschied, den wir vollziehen ist der Moment der Geburt - wenn wir als Babys durch den Geburtskanal von einer Welt in eine neue kommen. In eine vollkommen unbekannte Welt. Seelisch wissend, das wir nie wieder in die Geborgenheit des Mutterbauches zurückkehren werden. Der Akt der menschlichen Geburt ist archaisch, blutig, schmerzhaft. Wir müssen Abschied nehmen, uns auf eine Reise durch die Enge begeben, um unbekanntes Ufer zu erreichen. Damit uns dann dort das neue Licht einer neuen Welt empfangen kann. Das, wovor wir als Erwachsene oft Angst haben, machen Babys im Moment der Geburt instinktiv. Sie wissen nicht wo sie landen werden, wenn sie sich auf den Weg machen - aber sie tun es - in vollem Vertrauen. In voller Hingabe.

Es ist das Loslassen, das wir lernen dürfen.
Die Entscheidung das zu eng Gewordene zu verlassen, um neue Welten zu erobern.
Es ist das Gehen durch die Enge, die dem Abschied immer folgt. Immer.
Es ist das Vertrauen auf die eigenen Entscheidungen ohne sie zu bereuen.
Es ist das Sein können mit der Ungewissheit von Richtig und Falsch und dem tiefen Wissen, das Leben immer Entwicklung ist.

Abschied nehmen. Ist Leben.

Immer wieder spielt das Leben es in unseren Raum, damit wir lernen, was wir seit Geburt an können. Ganz instinktiv. Und doch jedes Mal, wenn es wieder soweit ist, Abschied zu nehmen. Haben wir Angst. Und all unsere unbewussten Traumata rund um das Geburtserlebnis werden in ein bewusstes Erleben geholt. Wir haben die Möglichkeit hinzusehen, wieso wir so oft lieber im Engen des Alten bleiben, als uns auf die Reise zum Neuen zu begeben.

Hier liegt ein Entry Point für Heilung.
Hier liegt der Schlüssel.
Hier kannst du dir selbst im vollen Selbstbild begegnen.

Und heilen.
Das Gold im Abschied nehmen finden.
Die Enge atmen.
Die Angst bewegen.
Katharsisch eine Geburt vollziehen.

Um dann in dein neues Gewand zu schlüpfen.
Und vom Licht eines neuen Morgens empfangen werden.

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