Jim oh Jim
Einmal da sah ich ein Konzert von Jim.
Jim Morrison. Auf Arte TV.
Ich war zutiefst ergriffen von seiner Präsenz auf der Bühne - deutlich spürbar durch meinen Laptop - fünfzig Jahre später. Und sogar hier über dieses technische Medium, hatte Jim die kraftvolle Magie, mich vollkommen in seinen Bann zu ziehen. Ich war fasziniert - hypnotisiert. So wie tausende von Frauen und Männer damals, als er die Bühnen der Vereinigten Staaten in seinem wilden ekstatischen Rausch unsicher machte. Und durch seine provokante Art, die den American Status Quo herausforderte, schliesslich verhaftet und aus dem Land verstoßen wurde. Ein Grenzgänger - zwischen den Welten. Einer, der rebellisch gegen alles war, um sich selbst zu finden.
Konzertbilder aus der Erinnerung: Seine Augen waren geschloßen. Das Mikro nah am Mund. Er schien so tief in sich versunken - gar nicht als wäre er auf einem Alkohol- und Drogencocktail, der täglich sein Bewusstsein trübte. Ich spürte Klarheit, Fokus, Shiva pur. Ihn umgab eine Aura, ein heiliges Licht, wie als hätte er eine direkte Verbindung zu Gott. Und als wäre er in diesem Moment, wo er sang, jemand, der die Gabe hatte, Spirit zu empfangen und ihn - den schamanischen Spirit - voll und ganz reinzulassen, durchzulassen, fliessen zu lassen. Um damit Welten zu transformieren. Er wollte es nicht bewusst, aber es geschah wie von selbst.
Ich wünschte mir schon oft in meinem Leben, in diese Zeit als Jim ein Star war, zurückzukehren, um ihn live, lebendig, atmend und in voller Statur zu erleben. In dieser Vision meiner 70ger Jahre Anima bin ich rothaarig, mit langen Haaren, grünen Katzenaugen wild, frei, jung. Das Leben voll inhalierend - ohne Limit, ohne Grenzen, ohne Verpflichtungen, voll drauf auf dem Motto “lass es uns schnell machen, aber dafür intensiv. Das Leben hier. Wild leben, früh sterben. Während Jims Konzert Gott sehen und vom heiligen Gral trinken. Das reicht, was will man mehr vom Leben!” Dieser weibliche Anteil in mir ist Jim - verliebt. Und manchmal gönne ich dieser Anima in mir Abende mit Gin und Jim, und ich lasse mich von der hypnotischen Musik der Doors an das Ufer treiben, wo man einfach nur ist. Mit Gott. Im Fluss. Berauscht von Leben.
Ich habe eine 600 Seiten Sammlung an Jim’s Gedichten und schriftstellerischen Arbeiten. Jim sah sich nie als Rockstar, vielmehr als Dichter. Poesie, Tagebücher, Drehbücher und Lyrik - die Sprache sein mächtigstes Werkzeug, um zu berühren. So wie seine Songtexte, die Millionen Fans direkt aus der Seele sprachen.
Das Buch liegt auf meinem Wohnzimmertisch - er blickt mich mit seinen Wolfsaugen direkt an und sagt: Komm mit mir, auf eine Reise durchs Universum. Ich zeig dir Gott. Und dann vögeln wir wie wilde Tiere durch die Nacht, bis nichts mehr von uns übrig bleibt. Lass uns Gott so nahe sein, das der einzige Weg ihn wirklich zu umarmen, der Tod ist.
Niemand sonst in der Musikgeschichte dieser Welt verkörpert in einem Menschen, das, was Jim Morrison für mich so einzigartig und unglaublich anziehend macht. Er ist so heilig in seinem Schmerz. So rein in seiner Unterwelt. So schön in seinem Scheitern. So menschlich in seiner Göttlichkeit. Er hängt am Kreuz, bewusst und masochistisch. Lacht dabei Gott ins Gesicht. Er ist Magier, Komiker, Märtyrer. Shiva, der durch das Universum tanzt und alles zerstört, weil er weiß, dass hinter dem Nichts Alles ist. So gebrochen in seiner Sucht, das sie zu seiner Erlösung wurde. Sein Feuer brennt stark und es ist das, was ihn verbrennen lässt. Bis nur mehr Asche bleibt.
Riders on the Storm. Ein Reiter an der Grenze. Zwischen den Welten. Immer bebend, immer sehnend, nie suchend, aber findend - berauscht von den Giften dieser Welt, die ihn letztlich das Leben gekostet haben. Er hat ihn sich gewünscht - den Tod, hat oft mit ihm gesprochen, ist selbst zu einem singenden Mann mit Todesmaske auf der Bühne geworden. Sein Nachlass: Eine der erfolgreichsten Bands der 70ger Jahre. Lieder, die man in der Ewigkeit noch hören wird. Tausende Blätter an Lyrik, Drehbüchern und Tagebüchern. Und Millionen von Menschen, die von ihm inspiriert waren und immer noch sind.
Wenn das Feuer der Seele brennt. Und man genau zuhört, was das Knistern des Feuers zu Flüstern hat, dann vollbringt man sein Schicksal. Man kann gar nicht anders. Es gibt nichts zu verpassen, nichts richtig zu machen, sich nicht vor dem Falschen zu fürchten. Das Leben ist das Leben. Wild. Frei.
Jim. Oh. Jim. Hast du dein Schicksal erfüllt?
The form is an angel of soul
from horse to man to boy
& back again.
Es gibt nichts zu fürchten.
Alles ist die Form eines Engels.
Alles bist du. Der Junge, der Mann, das Pferd, der Engel.
Eine Multiform von Bewusstsein.
Jim oh Jim.
Keiner hat mich so berührt wie du.
Hoffentlich. Sehen wir uns wieder.
Irgendwann.
Dann.
In der Ewigkeit.
„If my poetry aims to achieve anything, it’s to deliver people from the limited ways in which they see and feel“
— Jim Morrison