Circe und die weibliche Selbstaufgabe

Griechenland 2022. Der blaue Swimmingpool, das Buch und ich. Ich glaube es war der erste Sommer nach acht Jahren Mama Sein, als ich es schaffte, ein Buch von vorne bis hinten zu lesen. Ganz durch. Ohne Pause innerhalb von zehn Tagen. Ich war so glücklich. Es erfüllte mich zutiefst.

Zeit für mich, um ein Buch zu lesen. Was für ein Luxus.
All das war möglich, weil wir ein Zimmer mit eigenem Swimmingpool gebucht hatten.
Mein Sohn konnte den ganzen Tag in das kühle Nass hüpfen. Stundenlang.
Während ich auf der Sonnenliege lag und las. Stundenlang.

Endlich mal ein Sommer ohne Kümmern im Dauerloop. Ohne Organisation von Tagesprogrammen, Ausflugszielen, Eisportionen und Strandkörben mit Jause und Co. Die Jahre zuvor war ich immer voll eingesetzt im Urlaub. Um die gemeinsamen Tage ja so schön und angenehm wie möglich für alle zu machen. Männer inkludiert. Ich, meine Sehnsüchte und Bedürfnisse blieben meistens auf der Strecke und damit auch meine Urlaubslaune, die es allen anderen rund um mich begann sehr schwer zu machen. Die Frustration wuchs von Jahr zu Jahr. Ich war nicht mehr in meinem Frau Sein empowered, fühlte mich leer und ausgebrannt. Ein Geist von mir selbst, der sich nur nach Ruhe sehnte. Und der Urlaub war nur Stress.


So lebte ich, viele Jahre lang. Immer da für die anderen, niemals für mich.
Und durch mich wirkten Muster, die wie angegossen in das seit Jahrhunderten sozial und kulturell konstruierte Frauenbild passten. Die Frau muss immer, jederzeit und zuerst für alle anderen da sein. Bis zur puren Selbstaufgabe. Frau im Selbst? Frau für sich Selbst? Das interessiert niemanden.

Ich habe mich niemals bewusst dazu entschieden, Mama zu werden. Auch nicht darüber nachgedacht, ob es zu meiner Rolle gehörte oder nicht. Es passierte einfach und ich lernte über die Jahre im Heranwachsen meines Sohnes Mutter zu sein. Anfangs versuchte ich diverse Erziehungsbücher zu verschlingen, um zu begreifen wie es geht. Das mit dem Mama sein. Doch irgendwann erkannte ich: Dass es alleine nur darum geht, eine Beziehung von Mensch zu Mensch mit meinem Sohn aufzubauen. All inclusive. Mit allem, was zu einer Beziehung dazugehört, den guten und den schlechten Tagen.

Und den Tagen am Swimmingpool.

Es ist einer der schönsten Sommer, an den ich mich erinnern kann.
Weil ich mit diesem Buch in der Hand aufgehört habe, jene zu sein, die sich selbst immer wieder verlässt, um es allen anderen Recht zu machen. Mein Sohn war fasziniert vom Springen, und ich entspannt vom Lesen. Dadurch öffnete sich ein Raum zwischen uns, wo Nähe entstehen konnte, weil Grenze voll da war. Wo er ungestört in seiner Welt sein konnte, während ich in meiner war. Wo ich mich nicht mehr aufgeben musste, um gesehen zu werden. Und erkannte, dass ich nicht die Verantwortung für alles tragen konnte. Und auch nicht mehr wollte.

Ein behutsames Abtragen von Ahnenmustern.
Zwischen meiner Mutter, mir und meinem Sohn.
Generationsübergreifend sozusagen.
Es passiert nicht von heute auf morgen.
Es dauert, bis man erkennt, loslässt, erkennt, sich verändert. Lernt die eigenen Bedürfnisse zu sehen, zu ihnen zu stehen und sie auszudrücken. Verbal, manchmal laut, manchmal weniger laut. Aber mit einer Dringlichkeit, die verhindern will, dass man an der Überforderung zerbricht.
Ein Ausatmen von kulturell konstruierten Bildern, dass Frauen sich um alles kümmern müssten - ja sogar dafür verantwortlich sind, wie andere sich fühlen.
Da passiert Selbstaufgabe bis zum Exzess.


Das Buch Circe in meinen Händen beschreibt, wie Frauen durch die Geschichte hindurch immer wieder dazu gezwungen waren, sich selbst und ihr Schicksal für das der anderen, für das der Männer aufzugeben. Es war niemals wichtig, was SIE will, sondern was ER braucht. Das Vergessen der eigenen Sehnsüchte im Dauerkampf um das Gesehen und Anerkannt werden. So als hätten Frauen niemals die Möglichkeit gehabt, ihr eigenes Schicksal zu erfüllen, sondern immer das der anderen. Und wenn sie es trotz widrigster Umstände versuchten, wurden sie verdammt, ausgestossen, getötet oder dazu gezwungen sich zu fügen. Nicht dem, was sie wollten, sondern dem, was von ihnen gewollt wurde. Für die Familie, den Mann, die Gesellschaft, den Krieg. Zum Wohle aller, nur nicht zum Wohle für sich selbst.


Wieso tun wir uns als Frauen immer noch so schwer, in die eigene Selbstermächtigung zu kommen? Klar zu erkennen, was wir wollen, es auszusprechen und dabei keine Angst zu haben, was andere dazu sagen oder wie sie sich dabei fühlen?

Weil wir es nie gelernt haben, wie es sein kann, wenn wir aus dem heraus handeln, was sich in uns bewegt. Früher war es nicht möglich. Jetzt schon - zumindest im weißen Europa. Dabei dürfen der innere Konflikt von Selbstwert, das Ja zum eigenen Weg und die Gefahr andere dabei zu verletzen, in einem somatischen Prozess betrachtet werden. All die Wunden des Patriarchats bewusst gemacht und als Emotionen im Körper wahrgenommen und bewegt werden.


Wir erlösen als Frauen Geschichte durch unseren Körper.
In dem wir voll und ganz in unsere eigene einsteigen. Und sie im Körper spüren. Wir bewegen Geschichte. Wenn wir beginnen unsere eigene zu schreiben - und dabei keine Angst haben vom alten, verkrusteten kollektiven Narrativ abzuweichen. Jene Frauen, die es anders gemacht haben, jene Circen in der Geschichte, sind auch in den Geschichtsbüchern gelandet. Jene, die sich getraut haben, gegen gesellschaftliche Frauenbilder zu rebellieren und ihren Weg zu gehen. Nicht so wie es die anderen wollten, sondern so, wie sie es tief in sich gespürt haben.


Circe in mir hat gelernt, sich ihrer Bedürfnisse bewusst zu werden.
Und sich nicht schuldig zu fühlen, wenn sie sie ausspricht.
Sie hat gelernt, wie wichtig es ist, das eigene Selbst zu fühlen.
Um wirklich in Beziehung gehen zu können. Wieviel Energie frei wird, wenn das Programm Selbstaufgabe aufhört. Und wie kraftvoll das eigene Leben sein kann, wenn Frau das leidende Mutterprogramm erlöst und erkennt, dass Grenzen Liebe sind. Und das das Bewohnen des eigenen Raumes erst jene Möglichkeiten öffnet, die wahre Begegnung und Intimität mit Menschen zulassen.


Ich voll bei mir.
Du voll bei dir.
Das dürfen wir Frauen.
Endlich.
Das eigene Schicksal erfüllend.
Endlich.


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