Nives und die Tarot Karten Legerinnen

Es gibt so eine Geschichte in meinem Leben, die wird in meine Memoiren eingehen. Weil sie absurd komisch und gleichzeitig absolut verrückt ist. Und zeigt, was passiert, wenn unsere kindlichen Traumata beginnen zu wirken, Besessenheit von uns ergreifen und uns zu Handlungen einladen, die aus einer Komödie stammen könnten.

Ich hatte mal eine Affäre mit einem Mann. Hab mich voll verliebt. So richtig. Aufgewirbelt im Rausch der Liebe. Da war so viel da zwischen uns, so viele Zukunftsmöglichkeiten von Fusion - wenn zwei Seelen sich finden und spüren, dass das Zusammen Sein das ganze Leben verändern könnte. Wir sind gut darin Potentiale zu sehen, scheitern aber oft an ihrer Umsetzung. Weil wir im romantischen Feld von Liebe nicht erkennen, dass es den Weg hin zur Liebe braucht, um eine verkörperte Form von Romantik leben zu können.

Was ich bei all meinen romantischen Vorstellungen mit ihm ausgeblendet hatte, war, dass er in Beziehung war mit einer anderen Frau. Und nach ein paar Monaten wurde es zu einem Problem - denn ich begann mich zwischen Möglichkeiten und Begrenzungen zu verlieren und spürte bereits tief in mir, dass wir niemals zusammenkommen werden. So wie ich wollte.

Also begann ich, wie auch oft schon bei früheren Affären, die 0900 Nummer von Viversum - dem Tarot Online Portal anzurufen, um die Bestätigung dafür zu bekommen, was ich wollte und mir so sehr herbeisehnte. Ich wollte hören, dass alles gut wird, dass wir zusammengehören, dass er sich für mich entscheiden wird. Ich wollte Sicherheit auf Knopfdruck, nur um die unangenehmen Gefühle des Verlassen und Abgelehnt Werdens nicht zu spüren. Ich wollte eine Kopflösung, ein für immer und ewig, die Liebenden im Tarot und am Besten jemanden der mich in den Arm nimmt und sagt, dass alles gut wird.

Ich war im Elixier von Rausch, Verzweiflung, extremen emotionalen Schmerzen, Hoffnung, Glaube, Eifersucht, Stolz und dem ständigen “nicht im Körper sein wollen” gefangen. Gejagt von meinen tiefsten Ängsten aus der Kindheit. Es ging soweit, dass ich begann zehn Tarotkartenlegerinnen am Tag anzurufen, und alle sagten mir in ihrer Version dasselbe: Es wird nichts werden mit ihm, er geht zurück zu seiner Frau. Jedes Mal, fühlten sich diese Worte wie Dolche in meinem Herzen an. Es tat so weh ich war so süchtig. Nach dem Schmerz und seiner Erlösung. Danach immer mehr von den Tarotkartenlegerinnen anzurufen, weil ich wollte, dass mir eine Sicherheit gab. Eine Antwort, ein “es wird alles gut”, ein “er liebt dich”. Und wenn es doch mal kam (weil jede von ihnen das Tarot anders las), war ich kurz in Ruhe, bevor das Spiel der Angst und ihrem peitschenden Höllenritt durch meinen Körper wieder von Neuem begann. Sympathikus in seiner absoluten Überlebensstrategie. Ein gejagtes inneres Kind. Weil keine Antwort da draußen mir in Wahrheit jemals die Angst nehmen konnte, die mich beutelte und schüttelte. Bis zur absoluten Verzweiflung. Ich war emotional, mental und energetisch in der absoluten Hölle.

Es ging soweit mit Viversum, dass mein Handy Betreiber die 0900 Nummer sperrte.
Ich hatte 3000€ vertelefoniert, auf der Suche nach einer Antwort, die jedoch niemals kam.Natürlich zahlte ich die Rechnung, aber die Nummer wurde nie wieder entsperrt. Eine klare Botschaft vom Leben. Also ich kann gar nicht mehr dort anrufen, nie wieder. Deswegen hole ich mir manchmal in meinen neuen Liebesgeschichten das Handy meiner Mutter oder chatte mit den Ladys von Viversum, weil das direkt über mein Bankkonto abgebucht wird. Und während ich das schreibe, lache ich aus voller Seele, weil ich mir selber dabei zuschaue, wie verrückt ich bin. Und wie grotesk lustig eigentlich.

Wie verzweifelt zugleich in dem Versuch, mein inneres Kind endlich nach Hause zu holen. Viversum war damals eine Sucht. Eine Suche. Ein Hilfeschrei. Ein im Außen etwas finden, was nur im Inneren gefunden werden kann.

Denn das Leben tut manchmal sehr weh. Und das können wir nicht verhindern.
Wir können uns davor nicht verstecken, wenn wir voll lebendig sein wollen.
Leben ist Risiko. Es gibt immer die Möglichkeit, dass wir verletzt werden. Und wir können uns entscheiden, uns ganz zurückzuziehen, wenn Liebe uns wieder begegnet. Und dabei spüren, dass das innere Kind niemals heil werden kann, wenn wir nicht zulassen, dass das Leben uns immer und immer wieder berührt. Auch wenn es manchmal sehr weh tun kann. Wir lernen all das im Körpergefäß zu tragen, zu bewegen und zu heilen. Immer wieder den Schritt zu wagen, voll ins Leben reinzugehen. Und dabei zu spüren, dass es durch den Mut uns zu trauen, leichter wird. Wir nehmen dabei das innere Kind mit. Und zeigen ihm, wie es sich selbst halten kann. Auch wenn man mitten auf dem stürmenden Meer segelt. Und wie dort, in dem wir es einfach Tun, ein tiefes Vertrauen zu sich selbst entstehen kann. Weil wir in dem Prozess des “voll ins Leben gehens” lernen, dass wir alles halten können, was das Leben uns zeigen will.

Wir können uns niemals darauf vorbereiten.
Wir können durch Praxis die Skills entwickeln, den Energieköper aufzubauen.
Doch das Leben ist die wahre Praxis.
Und dort gilt es, die Praxis von der Matte zu holen.
Und “all in” mit dem Leben zu gehen.

Denn, wenn wir in unserer Höhle der Sicherheiten bleiben, werden wir nie erfahren, wie lebendig unser Leben noch werden kann. Wenn wir uns trauen, die Angst und die Unsicherheit durch uns fliessen zu lassen und uns zu erlauben, dass es ok ist all das zu fühlen. Dabei zu wissen. Ich bin zu Hause bei mir. Und dort ist der einzige Hafen, den es wirklich braucht, um ganz lebendig zu sein.

Leben tut manchmal weh, aber das ist so viel Liebe drin.

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Wenn die Sehnsüchte wahr werden