Das spirituelle Kaffee
Ich kenne sie fast alle. Die Hotspots der spirituellen Communities auf dieser Welt. Bali, Portugal, Costa Rica and so on. Es sind besondere Plätze mit besonderen Energien für die ganz besonderen Menschen. So zumindest das Konzept. In den letzten Jahren sind sie wie Licht Enklaven aus dem Boden geschoßen und ziehen wie Motten das Licht alle Spiris an, sie sich dort niederlassen, um in Gemeinschaften ihre ganz eigenen Welten zu bauen. Abgetrennt vom Rest der Welt. Denn es geht ja um die Specialness.
Es ist so wie in dem Film THE BEACH. Happy people in happy places, dahinter purer Wahnsinn. Alle strahlen, tragen indische Malas, trinken Hafer Capuccino und essen vegan. Alle sind digitale Nomaden, haben tausend Ausbildungen in tausend verschiedenen spirituellen Techniken und sind, so scheint es, auf der Suche nach Befreiung. Und solange diese Suche unter Gleichgesinnten stattfindet, funktioniert sie auch gut. Denn da sind alle irgendwie beim Finden von demselben, von dem sie manchmal selbst nicht wissen, was es ist. Aber alleschwingen irgendwie auf derselben Welle der Bedürfnisbefriedigung. In spirituellen Glitzer getunkt.
So verschlug es mich dieses Jahr im Sommerurlaub mit meiner Mama und meinem Sohn nach Korfu. Auch dort gibt es mittlerweile eine starke spirituelle Community, weil die Insel besonders starke spirituelle Energien hat. Ich fuhr nicht deswegen nach Korfu, sondern vielmehr weil meine Mama es sich seit Jahren wünschte und ich dachte, why not?
Bald hatten wir unseren Stammplatz am Strand gefunden, und dort gab es auch ein nettes Kaffee am Strand - von dem sich herausstellte, dass es der Sammelpunkt für alle spirituellen Menschen der Insel war. Jeden Tag holte ich mir dort meinen Hafer Capuccino, einen Smoothie für meine Mama und ein Coke für meinen Sohn. Und jeden Tag lud mich das Leben ein, mich jenen Widerständen zu stellen, die ich schon immer an solchen Orten mit solchen Menschen gefühlt hatte. Ich mag die Szene nämlich überhaupt nicht.
Ich durfte fühlen lernen, was es denn ist, was ich nicht mag. Ich kann mich erinnern, dass es mir auf Bali auch schon so ging. Und auf Korfu wiederholten sich meine Abneigung, Wut und mein inneres Urteil jeden Tag aufs Neue, sobald ich das spirituelle Kaffee am Strand betrat und die Energie der Menschen dort spürte, die sich zwischen ihren Workshops schnell mal vegan ernähren und über ihre visionären Erfahrungen sprechen.
In solchen Situationen, wenn mein Instinkt mir sagt, dass ich mich schützen muss, werde ich wütend, herablassend, stolz, besserwisserisch. Vielleicht ist es aus Liebe, vielleicht auch nicht. Weil ich kenne diesen Modus der spirituellen Extraklasse sehr gut. Die Suche nach Heilung darin. Das ewige Kreis um endlich Ankommen, fragt sich nur wo. Die Gewalt des spirituellen Egos, das sich über andere stellen muss, weil die Verletzungen im menschlichen Gewand zu groß sind. Den Konsum von Spiritualität in dem falschen Glauben, dass man irgendwann, wenn man fertig ist, erleuchtet sein wird. Die Trennung von der Welt der normalen Menschen, und die damit verbundene abfällige Meinung über jene, die nicht spirituell sind. Und das egozentrische sich ständig um seine Wunden kümmern, weil man den narzisstischen Hauch im eigenen Selbstbild nicht erkennt.
Solange man in der Lichtenklave der spirituellen Specialness hängt, gibt es keine spirituelle Entwicklung. Eigentlich bräuchte der magische Strand in Korfu keine zigtausend Selbstfindungsworkshops, denn man findet sich selbst sowieso, wenn man die Augen übers Meer ruhen lässt und den Wind auf der Haut fühlt. Die künstliche Ausbeute von kraftvollen Plätzen ist zu einer milliardenschweren Branche in der spirituellen Szene geworden. Alle flüchten dorthin, wo es sowieso schon schön ist, anstatt dort zu bleiben, wo es schwierig ist. Mitten im Leben. Dort, wo es reibt, regnet, energetisch manchmal schwer zu tragen ist und dort, wo man spirituelle Menschen eigentlich am Meisten brauchen würde. Special People brauchen special Orte. Und die nehmen sie sich auch, teilweise ohne Rücksicht auf die Einheimischen und ihre Lebenssituationen.
Lichtenklaven für die Lichtmenschen. Hat schon fast etwas rassistisches, gepaart mit einer großen Portion einer selbstinszenierenden Darstellungskraft, die ihresgleichen sucht. Die eigenen Heilbedürfnisse treiben die Menschen so weit, dass sie nur mehr sich selbst sehen. Denn kaum sind sie von ihrem Tisch im spirituellen Kaffee aufgestanden, haben ihre Mägen mit Seelennahrung gefüllt und sich auf dem Weg zum nächsten Heilungskonzert gemacht, vergessen sie so ganz einfache menschliche Gepflogenheiten wie Guten Tag sagen, sich im Supermarkt in der Reihe anstellen oder einer Mutter mit schreiendem Kind den Vortritt beim Bezahlen lassen.
Wenn ich an all diese Momente im spirituellen Kaffee am Strand von Korfu zurückdenke, weiß ich, wieso ich solche Orte meide. Sie sind mir zu unmenschlich, zu abgetrennt, zu lichtvoll. Das menschliche Leben ist paradox. Du kannst in einem Moment Gott sehen und in der Einfachheit deines täglichen Lebens trotzdem Herausforderungen haben. Du kannst tiefste Meditationserfahrungen erleben und trotzdem oft an deinem Schmerz verzweifeln. Nichts hat mich jemals spiritueller gemacht als die Komplexität meiner Persönlichkeit lieben zu lernen. Und heute sitze ich viel lieber mit schreienden Kindern und Mamis, die Sandburgen bauen am Strand, als zum nächsten Ecstatic Dance mit bunten Vögeln zu gehen, die auf der Tanzfläche ihr spirituelles Ego in Kleidern und Federn inszenieren und dabei niemals die Befreiung finden, nach der sie suchen.