Du warst mein bestes Traumbild
Ich hatte vor zwei Jahren einen Lover.
Sechs Monate lang im online Raum. Nur einmal live in persona.
Er war jünger, Künstler, Dreadlocks, Musiker.
Ich war älter, Künstlerin, Dreadlocks, Schriftstellerin.
Perfect Match, so könnte man sagen.
Er war in einer Beziehung.
Ich hatte meine Beziehung zwar nicht für ihn, aber wegen uns beendet.
So begann unsere Lovestory.
Als ich ihn das erste Mal auf Facebook sah, vibrierte es in meinem ganzen Körper.
Er spiegelte mir etwas von mir selbst zurück, das mich instantly lebendig werden lies.
Etwas in ihm, war so wie ich.
Und ich?
Ich verliebte mich, fast genauso so schnell, wie beim aller ersten Mal, damals mit 16, als man noch an die große Liebe glaubt und dieser Glaube fähig ist, das ganze Leben auszuhebeln.
Wir Video- telefonierten stundenlang. Jeden Tag. Über ganze sechs Monate. Schrieben, nachdem wir aufgelegt hatten, nochmal gefühlte 100 WhatsApp Nachrichten am Tag. Hatten Online Sex, schickten uns Liebeslieder, aßen vor der Videokamera miteinander und badeten bei Kerzenschein. Es war eine Beziehung. Online. Er war so nah, obwohl er 200km weiter weg wohnte und ich dachte, wir würden uns bald treffen. Wenn er endlich den Mut aufbringen würde, seiner damaligen Partnerin zu sagen, dass es aus war. Nicht wegen mir. Es war schon lange aus. Vor mir. Aber ich war, so dachte ich, die finale Zündung, damit er endlich aus dieser Beziehung gehen konnte, die ihn schon lange im Drama festhielt.
Wir waren sehr, sehr, sehr verliebt ineinander.
So sehr, dass er begann Gedichte, Lieder und Prosa über mich in sein Tagebuch zu schreiben. Wir veranstalten sogar ein Tanzevent online zusammen - sehr erfolgreich. Ich spürte eine so tiefe Verbindung zu ihm, und er zu mir. Ich malte mir aus, wie es zwischen uns sein könnte - in Echt. So in einer richtigen Beziehung. Ich plante eine Zukunft mit ihm, weil ich so viel Potential in unserem gemeinsamen Zusammensein sah. So viel Ekstase, Liebe, Kreativität, Leidenschaft. Es hatte mich voll erwischt. Und ihn auch.
Meine Online Beziehung mit ihm war wichtiger geworden als mein reales Leben. Nicht, dass das mit ihm nicht real war. Wir sahen uns ja täglich - per Video. Und ich hätte noch lange so weiter machen können, denn das Einzige, was uns im Weg stand, war seine Beziehung. Ich meine, die echte, in seinem echten, alltäglichen Leben. Also wartete ich, bedrängte ihn nicht, gab ihm Zeit, um sich aus dieser seiner Vergangenheit zu befreien, was ihm ziemlich schwer fiel. Wir redeten nicht viel darüber. Und irgendwann, war es mir zu wenig. Ich wollte ihn sehen. Und diese Sehnsucht wurde immer stärker. Ich wollte nicht mehr nur digital, sondern körperlich analog. So ganz menschlich ohne Bildflimmern und schlechte Internetverbindung. Ich wollte Haut und Geruch. Augen und Kuss. Ich wollte, dass diese Energie, die sich täglich mehr zwischen uns auflud, endlich leben. So ganz im Körper, gemeinsam mit ihm.
Wie so oft im Leben, spitzten die Dinge sich zu. Und unser geheimes Leben trat eines Tages mit einer Gewalt an die Oberfläche, wie man es nur aus schlechten Soap Operas kennt. Der Klassiker. Seine Partnerin fand sein Tagebuch. Und las darin von mir.
Gleichzeitig, also zur selben Zeit, hatte seine Exfreundin von mir erfahren und da sie noch ein Auge auf ihn geworfen hatte, wollte sie unbedingt wissen, wer ich bin. Also schrieb sie ihm. Und alle wussten plötzlich von uns beiden. Die frohe Botschaft wurde im ganzen Dorf verbreitet und unser ach so heiliges geschütztes Nest war plötzlich zu einer Realität geworden. Nicht mehr online. Sondern sehr real. Mit all dem, was zu Drama so dazugehört.
Wir waren aufgeflogen.
Und dann begann das wahre Leben.
Ich war plötzlich nicht mehr Teil einer Dreiecksbeziehung, sondern mitten in einem Sturm von Exfreundinnen, Freunden, Partnerinnen und Kindern. Ich in Wien. Er in Graz. Es wurde dramatisch - sehr sogar. Und er zog den Schwanz ein - nicht, weil er mich nicht liebte, sondern weil er konfrontiert war, der Realität, vor der er online leicht flüchten konnte, ins Auge zu blicken. Sein Leben und all das, was darin nicht passte, beinhart zu betrachten und den Mut zu fassen, zu gehen. Nicht wegen mir, sondern wegen sich selbst.
Wir hatten uns eine Traumwelt aufgebaut.
Er eine, wo er flüchten konnte.
Ich eine, in der ich mich verlieren konnte.
Wir waren die perfekte Projektionsfläche füreinander.
Ich seine Traumfrau.
Er mein Traummann.
Wir blendeten jegliche reale Tatsache unseres Alltagslebens aus.
Liebten und verliebten uns nur in das, was wir in unserer abgeschotteten Welt miteinander lebten. Und solange wir nur uns hatten, war alles gut, rosarot, himmelblau und sexy. Doch Traum und Realität berühren einander selten und dann kommt irgendwann das böse Erwachen.
Es entlud sich. Nicht unbedingt so, wie ich es mir gewünscht hatte. Nämlich, dass es uns noch mehr zueinander brachte. Eher das Gegenteil. Wir entfernten uns voneinander. Er war in der Enge, denn er musste sich entscheiden. Ich war in der Enge, denn auch ich musste mich entscheiden. Für ihn und das leidvolle Warten auf ihn. Oder für mich. Und das klare Ende einer Beziehung, die nie wirklich real war. Denn ich hatte mir die Rosinen aus dem Kuchen gepickt - all meine inneren Traumbilder über meinen Traummann auf ihn projiziert und gedacht, dass es wahr war. War es auch irgendwie, aber nicht wirklich. Denn in dem plötzlichen Erwachen in die Realität der Dinge, kamen Aspekte seiner Persönlichkeit zum Vorschein, die mich überraschten, verwunderten und verwundeten. Die Realität frass den Traum. Und lies nichts davon übrig. Denn die Wahrheit war, dass er nicht den Mut hatte, seine Beziehung zu verlassen. Nicht wegen mir, sondern wegen sich selbst. Aber das ist eine andere Geschichte.
Er war der letzte Loop in Bezug auf Projektion von Traummann in meinem Leben.
Mit ihm ist die leidvolle Suche nach dem Einen in mir gestorben.
Ich habe aufgehört meinen Animus Anteil auf irgendjemanden da draussen zu projizieren.
Die Prinzessin wurde zur Königin.
Ich erwachte von online zu real.
Es war über viele Monate sehr schmerzhaft für mich.
Ich fühlte mich um das Bild meines Traummannes betrogen.
Eine Sehnsucht, der ich über 25 Jahre lang nachgehechelt hatte, erwies sich als falsch.
Hollywood Film ohne Happy End.
Er war die letzte Projektionsfläche mit Romantikcharakter.
Und damit das Ende von Drama für mich, weil der Prozess unserer Beziehung mich ganz klar auf den Boden der Realität zurückholte. Keine Romantisierung mehr. Sondern den Mut zu haben, der Realität der Dinge ins Auge zu blicken.
Wir verstehen uns immer noch gut. Er und ich.
Wir lieben uns auch. Er und ich.
Aber wir haben uns für etwas anderes entschieden.
Da ist immer noch viel Potential zwischen uns.
Die Liebe bleibt.
Aber nicht hier, nicht jetzt.
Vielleicht irgendwo, irgendwann.
Das ist das Paradoxe an Beziehungen und ihren Potentialen.
Zwischen Traum und Realität.
Das zu erkennen, was Wahrheit ist.
Und dort zerfällt Romantik.
Leider. Oder aber auch.
Mega.