Die Leere im Kelch

Die Leere im Kelch.

Einmal im Monat kommen für jede Frau diese Tage des Leer Werdens. Wenn das Blut der Eizellen, die nicht befruchtet wurden, den Körper verlässt. Ein natürlicher Zyklus im weiblichen Körper. Über Jahrzehnte immer und immer wieder derselbe Impuls, dieselbe Einladung, dieselbe Erfahrung - die uns auf natürliche Weise lehrt, was es auf einer zutiefst körperlichen Ebene bedeutet, leer zu werden. Loszulassen. Auszuatmen. Zu sterben. Den Kelch zu leeren.


Es gibt Monate, da kann ich mich gut drüber schummeln, weil ich so viel zu tun habe, dass ich mir keinen Raum für diese Erfahrung gebe. Manchmal merke ich sogar nicht, dass ich blute. Ich nehme es nicht wahr - bewusst. Sondern bleibe in dem Modus von Leistung, Weitermachen, Erledigen - weil, wenn ich es nicht mache, wer soll es sonst tun? Das ewige Dilema des Frau Seins - geboren aus Pflicht, Schuld, gesellschaftlicher Konditionierung und übernommenen Ahnenthematiken, die uns jedes Mal daran erinnern, dass sie durch uns und in uns leben. Und wir unserer Vergangenheit selten entkommen können.


Doch dann gibt es Monate, wo die Höhle des Kelches mich ruft. All, das, was sich in den vergangenen Wochen in mir gesammelt hat und gehen will, bewusst zu entleeren. Die Schmerzen meines Unterleibs dringlichst rufen, sie ganz zu spüren und dabei die Bitterkeit der ungeweinten Tränen zu schmecken. Mich ganz auf ein somatisches Fühlen meiner Gebärmutter einzulassen - sie als Kelch voll von Blut wahrzunehmen und zu spüren, was wirklich da ist. In diesem heiligen Raum meiner Weiblichkeit.

Im weiblichen Körper ist der Tod eingeschrieben. Der weibliche Körper weiß, wie man stirbt, wie man loslässt, wie man leer wird, transformiert. Ich möchte mich so sehr und immer mehr, diesem instinktiven Wissen hingeben und scheitere so oft an dem, was ich in unserer Kultur darüber gelernt habe, wie Leben geht, was ich übers Loslassen weiß und auch über die Menstruation.

Wir haben diese Fähigkeit, dem Körper zu lauschen.
Er lehrt Leere. Er zeigt uns, wie er das Blut aus dem Kelch entleert.
Wir dürfen lernen, hin zu spüren und damit zu atmen.
Vielleicht braucht jeder Krampf ein tieferes Atmen.
Mehr Vergebung. Mehr Erlösung. Eine ungeweinte Träne mehr.


Ich atme.
Und spüre in meinem Blut meine Mutter und ihre Mutter. So als wären sie Kinder in meinem Bauch. Direkt verbunden über unser Blut. Blutsverwandt. Dabei nehme ich wahr, wie sehr diese Frauen sich gegen ihr Blut gewehrt haben. Es nicht haben wollten. Für sie war das Blut ein sichtbares Zeichen dafür, dass mit ihnen etwas nicht stimmte, sie es nicht wert waren, gleichberechtigte Teile einer Gesellschaft zu sein, Ausgestossene, befleckt, nicht würdig. All diese Wunden jener, die vor mir da waren hüllen mich in einen Nebel - an solchen Tagen, wie diesem, wenn das Bluten mich ins Bett zwingt.


Ein Nebel des Vergessens.
Einsamkeit.
Nicht geliebt sein.
Mir wird bewusst, dass ich meine AhnInnen in meiner Gebärmutter trage.
Und dass es mein Dharma ist, sie und all ihre Schmerzen in meinem Kelch zu erlösen.
Also lade ich sie ein.
Meine Mama. Und ihre.
Mit mir im Kelch zu verweilen.

Ich flüstere: Es ist schön, Frau zu sein.
Mit jeder Einatmung strömt goldenes Licht in meinen Kelch.
Wir baden hier gemeinsam. In dem Blut der Fruchtbarkeit.
Mit jeder Ausatmung öffne ich die Nebel, die sich über mein Bewusstsein gelegt haben. Die nächste Einatmung trägt mich in mein Herz. Und aus dem Herzen strömt die heilende Kraft der Liebe zu meiner Gebärmutter, meiner Mutter und ihrer Mutter.


Ich flüstere ihnen zu:

Die Angst darf schmelzen.
Das Zittern des Körpers vergehen.
Der Schock, dass euer Blut gesehen wird, darf ausklingen.
Die Scham eine Frau zu sein, sie darf heilen.
Wir können uns heute ausruhen.
Geborgen. Beschützt. Geheilt.
Alles im Kelch vereint.
Gehalten. Geweint. Erlöst.

Immer und immer wieder.
Sind wir Eins.
In meinem Körper.
Euer Körper.

Bis der Kelch ganz leer wird.
Und die Nebel der Vergangenheit dem goldenen Licht des neuen Morgens weichen.

Bis der Kelch ganz leer wird.
Und das Blut leichtend rot zur Erde zurückfliesst.
Um neues Leben entstehen zu lassen.


Den Kelch ganz leer machen.
Auf dem Weg.
Zurück nach Avalon.

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