Innerer Leitstern

ch kann mich noch genau an diesen einen Moment in meinem Leben erinnern, so als hätte er sich damals in mich eingebrannt und mich nie wieder losgelassen. Das Gefühl, das Bild, das Licht, mein frei sein darin.

Ich war zehn Jahre alt und hatte ein kleines Zimmer im 1. Stock eines Wiener Gemeindebaus im 16. Bezirk. Ich liebte mein Zimmer, es war mein Reich, mein Rückzugsort. Schon damals bevorzugte ich es, viel und gerne alleine zu sein. Mit mir alleine. Tagebücher schreiben, Hörspiele auf Kassette hören, meine Puppen ordnen, Madonna True Blue auf Schallplatte hören. Ich baute mir jeden Tag meine eigene kleine Welt - um mich von meinen Eltern abzuschotten und zu versuchen glücklich zu sein. Meine Mama war zwar da, aber emotional nicht so präsent, wie ich es als Kind gebraucht hätte. Mein Vater war nur manchmal da, also vorallem dann, wenn er nicht arbeitete oder betrunken war. Während ich darüber schreibe, ist es, als könnte ich die Stimmung von damals wieder lebendig werden lassen. Es war ein zu Hause der Leere, da war wenig Geborgenheit, wenig Zusammenhalt, zu wenig Familie. Ich liebte meine Mutter, doch fühlte ich ihren Überlebenskampf getränkt in finanziellen Sorgen und der ständigen Nicht Liebe zu dem Mann, mit dem sie verheiratet war. Ihr Pflicht - Erfüllungsprogramm, ihre subtile Angst und auch ihren Mut weiterzumachen und zu kämpfen, waren jene Energien, denen ich ständig ausgesetzt war. Der Vater? war nicht da. Zwischen ihnen? Ein ewiger Kampf, ja zeitweise sogar Hass. Und irgendwann lernte ich in diesem Trauerspiel ohne Hoffnung und Liebe, mir in meiner Einsamkeit eigene Welten zu bauen.

Ich war schon früh zur Eremitin geworden. Mein Zimmer war meine Höhle. Ich spürte meine alte Seele in dem jungen Körper und je älter ich wurde, desto bewusster wurde ich in Bezug auf Bewusstsein in mir. Ich fühlte eine Kraft an meiner Seite, die mich manchmal wie einen Derwisch im Kreis tanzen lies, bis ich mich ins Universum hinaufgedreht hatte. Und die manchmal wie ein Blitz in mich einfuhr, während ich mit der Strassenbahn in die Schule fuhr und still und leise aus der Tiefe die Frage stellte: Wer bist du? Wer bist du wirklich?

Es gab in meinem Leben immer schon diesen inneren Leitstern, diese feine, sanfte innere Stimme - viel mehr noch, ein Gefühl von “Ich weiß, wer ich bin”, viel mehr noch “nicht ich weiß es, sondern etwas in mir weiß es”. Dieser Leitstern hat nichts mit dem Alter, dem Geschlecht, der Reife oder einem bestimmten spirituellen Wissen zu tun. Es ist eine höhere Kraft, eine Art von Bewusstsein, das, wenn man den Raum dafür hat, durch einen wirkt.


Und dann irgendwann war er da, der Moment, als ich zehn Jahre alt war. Erst 25 Jahre später und durch den Tantra, erfuhr ich, dass diese Erfahrung ein Shiva Moment gewesen war. Es war ein sonniger Tag, ich lag auf meinem Bett, das direkt durchs Fenster in den Himmel blickte. Die weißen Wolken zogen durch das Blau des Himmels und ich versank für einige Zeit darin. Es war so unendlich, weit und frei. Ich atmete mich in Entspannung hinein. Ich wusste, so fühlt sich zu Hause an, da war Gott, da war der Vater, den ich niemals hatte. Da war diese Kraft, die ich immer schon fühlte. Geborgen, golden, frei, stabil, Raum haltend, liebevoll, mit immer offenen Armen, die nichts wollen und alles geben.


Ich wusste, dass das, was ich an diesem Tag in diesem Bett gefühlt hatte, für immer bei mir bleiben würde. Dass es die erste und letzte Wahrheit war.
Zu Hause.
Zu Hause.
Endlich zu Hause.


Meine Einsamkeit plagt mich immer noch. Wenn das Trauma des gebrochenen Elternhauses kickt, dann sehe ich keinen blauen Himmel mehr. An solchen Tagen plagen mich die Dämonen aus meiner Kindheit wie Geister, die mich gefangen halten. Der Überlebenskampf in dunklen Räumen ohne Licht und Liebe. Ohne Umarmungen, die sagen, dass alles gut wird. Ohne jemanden, mit dem ich reden könnte, denn ich habe keine Stimme mehr, um zu reden. Es gibt keinen Boden auf dem Abgrund, in den ich sinke. Und der Masochismus in mir drückt mich wie eine unsichtbare Hand immer tiefer. Bis ich ertrinke. In Bewusstlosigkeit des dämmernden Schlafes, in den ich nur flüchten will, um nichts zu fühlen. Es nicht zu fühlen. Das enge Herz. Die Angst. Das Allein sein. Die Hilflosigkeit. Den Überlebenskampf meines inneren Kindes und das zitternde Nervensystem, das zwischen Flucht und Erstarrung nach Luft ringt.


Die spirituelle Praxis und die Somatik unterstützen mich mittlerweile dabei, mich an solchen Tagen selbst zu halten. Ich lerne jedes Mal mehr, dem inneren Kind ein zu Hause zu geben. Es zu halten und ihm zu sagen: Du bist zu Hause. In mir. Meinem Körper. Du musst nicht mehr in den blauen Himmel flüchten, weit weg von all dem. Ich zeige dir den Weg, wie du den blauen Himmel in dir finden kannst. In dir. Bei mir. In uns. Wir sind der blaue Himmel. Im Außen. Im Innen. Und überall.



Und dann atme ich.
Mit meinem inneren Kind.
Und lasse zu, dass die Wunden langsam heilen.
Und die Angst davor, in mir mein zu Hause zu finden, schmilzt jedes Mal mehr.
Traumaarbeit ist ein sensibler Weg.
Er braucht Zeit. Und einen Raum.
Wissen und Weisheit.
Und ganz viel Geduld.



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