Meer und Türkis
Das Meer war immer schon mein zu Hause. Es ist das Element, in dem ich mich am lebendigsten fühle. Vielleicht liegt es daran, dass meine Ahnen vom Meer kommen, am Meer aufgewachsen sind und sich vom Meer ernährt haben. Am Meer geboren und am Meer gestorben sind. Sobald ich meinen Körper in Meer tauche, bin ich ich. Ich konnte nie wirklich etwas mit Wäldern und Bergen anfangen, irgendwie haben sie mich nie berührt - nie so wie das Meer.
Ich glaube, dass wir nie aus dem Körper entlassen können, woher unser Blut und unsere Knochen kommen. Es ist in uns. Das woher wir kommen und zu dem wir zurückkehren, eines Tages, wenn wir diesen Körper wieder verlassen.
Das Meer ist in mir und ich bin im Meer.
Sobald ich im Wasser bin, entspannt sich mein Nervensystem.
Ich fühle Nives, roh und pur.
Ich spreche mit dem Meer. Lasse all meine Emotionen in ihm schwimmen, empfange heilende Impulse, vorallem an Tagen, wenn es mir schlecht geht. Für mich gehört ein Meeresaufenthalt pro Jahr einfach dazu, und wenn ich länger nicht am Wasser war, stockt etwas in mir. Ich fühle mich wie ein Fisch an Land, der keine Luft zum Atmen hat.
Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als eines Tages am Meer zu leben.
Meine Augen brauchen den Horizont, um zu sehen.
Mein Herz seine unendliche Weite, um sich frei zu fühlen.
Die Luft am Meer, geschwängert von Salz und Algen, erinnert mich an schwerelose Kindertage, als ich den ganzen Tag im Wasser und unter Wasser war, um die türkisblauen Welten zu erforschen, die sich unter der Wasseroberfläche verbergen. Ich kann mich erinnern, wie freudvoll es für mich war, diese Stille und das subtile Rauschen zu hören, das wahrnehmbar wird, wenn wir den Kopf unter Wasser tauchen. Und dabei alles vergessen können, was über Wasser ist.
Ich lege mich im Meer auf den Rücken und entspanne mich.
Ich reinige meinen Körper und meinen Geist.
Mein Körper wird eins mit dem Wasser und ich lasse mich von seiner Sanftheit umspülen. Hier kann ich ganz alleine sein, mich voll fühlen, weil das Wasser mich umarmt, festhält, Geborgenheit schenkt - eine Geborgenheit, die ich vielleicht das letzte Mal so intensiv im Mutterbauch gefühlt habe.
Manchmal verwandle ich mich in eine Meerjungfrau.
Schwimme mit Delphinen, obwohl da keine sind.
Bin Perlmutt in türkisblauen Wasser.
Jedes Meer erinnert meinen Körper an Geschichten von Seefahrern, untergegangenen Tempeln, verborgenen Geschichten von Nymphen, Göttern und Meerestieren. Ich verbringe viele Stunden im und am Meer. Und es schenkt mir so viel Freiheit.
Freiheit von mir selbst, denn manchmal würde ich mich am Liebsten vergessen. Meine Gedanken, meine Sorgen, meine Ängste, den Schmerz, den ich fühle, wenn ich mit Leben konfrontiert bin. Das Meer hilft mir all das zu verarbeiten und in Bewegung zu halten. Es bewegt mich, so wie ich mich in ihm bewege. Und manchmal wünschte ich, ich könnte ganz weit rausschwimmen, wo mich niemand mehr sieht. Wo ich der Welt entgleite, mir selbst entgleite, keine Verantwortung mehr übernehmen muss und einfach abtauche. Tief hinab, um endlich wieder zu Hause zu sein.
Ich glaub, es ist schön am Meer zu sterben.
Ich glaub, ich will, dass meine Asche am Meer verstreut wird, eines Tages, wenn ich sterbe. Ich glaub, ich will am Strand heiraten, während meine Füsse den Sand küssen. Und noch tausend Mal eine heilige Taufe erfahren, wenn ich meinen Kopf ins kühle Nass tauche. Ich will, dass das Salz des Meeres alle meine Sünden auffrisst und die alte Haut meines Egos schmelzen lässt, damit ich endlich die werde, die ich bin. Ich glaub ich will noch tausend Mal Liebe im Meer machen, mit dem Mann, den meine Seele liebt. Ich glaub, ich will noch alle Meere dieser Welt sehen, bevor ich zurück in den kosmischen Ozean kehre. Und mit den Sternen verschmelzen, die gemeinsam mit dem Mondenschein ihr Licht im Meer tanzen lassen, während die Wellen kommen und gehen. Kommen und gehen. Kommen und gehen.
Es gibt viele Dinge, auf die ich in meinem Leben verzichten könnte. Doch auf das Meer niemals. Es ist in meine Haut eingeschrieben. Es ist der Ruf meiner Seele. Mein zu Hause. Immer und immer wieder. Es ist das Elixier, wenn ich einsam bin. Die Mutter für mein verletztes inneres Kind. Die heilende Hand, die meinen Körper von seinen Schmerzen befreit. Es ist das, was zu mir flüstert, wenn keiner mehr geblieben ist, der mich trägt. Die Befreiung und Erlösung nach der sich meine Seele sehnt. Es ist das, zu dem ich immer wieder zurückkomme, wenn alle gegangen sind. Und der Anker, der mich zum Himmel emporträgt, damit ich endlich Nives bin.
Im durchsichtigen Türkis des Meeres verliere ich mich. Um mich wiederzufinden.
In seinem Widerstand höre ich auf gegen mich selbst zu kämpfen.
Und während die Kristalle seines Salzes mich auf der Wasseroberfläche halten, kann ich tief ganz tief zu mir hinabtauchen.
Und mich endlich spüren.
In dem.
Was ich bin.
Delphin Liebe.
Meerjungfrauen Haare.
Sinnlichkeit.
Freiheit.
Salz auf meiner Haut.
Und Tiefe.
So tief und endlos.
Wie das Türkis des Meeres.